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Gedenken
23. Januar 2016 - Veranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Nach der Begrüßung durch Bürgermeister Norbert Möller hielt Rüdiger Prehn, Fraktionsvorsitzender Fraktion Die Linke, die Gedenkrede. Hier ein Auszug aus seiner Rede. Sie beginnt mit einem Zitat: „Einmal wird dieser schreckliche Krieg doch aufhören, einmal werden wir auch wieder Menschen und nicht allein Juden sein.“ Anne Frank Am 27.01. vor 71 Jahren als die Rote Armee die Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau befreiten, fand sie dort ca. 8000 völlig entkräftete Menschen vor, dort, wo vorher 1,2 Mio. Menschen ermordet worden waren. Seit 1996 begehen wir in Deutschland den 27. Januar, also den Tag, an dem Auschwitz befreit wurde, als nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Im Jahre 2005 wurde der 27. Januar von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt.“ ... „In der heutigen Zeit trifft man oft auf Meinungen wie: Das ist doch Geschichte. Wir haben das doch nicht getan. Wir, die Heutigen tragen keine Schuld. Ich bin Jahrgang 1955. Ich kenne die Zeit des Holocaust nur aus Büchern, Filmen und Berichten meiner Eltern. Vor allem meiner Mutter, Jahrgang 1928, die in Litomìøice in Tschechien als Deutsche ihre Kindheit und frühe Jugend verbrachte. Sie erzählte von den zerstörten Geschäften jüdischer Inhaber, von Freundinnen, die den Stern tragen mussten und plötzlich samt ihrer Familien nicht mehr da waren, von den als solche viel zu spät erkannten Ausflüchten ihrer Eltern, wenn sie nach den Gründen des Verschwindens fragte. Als 15/16jährige wurde sie mit ihrer gesamten Familie nach Deutschland ausgewiesen. Auch sie trug mit Sicherheit keine persönliche Schuld. Aber aus ihren Erlebnissen und Erfahrungen erwuchs für meine Mutter eine persönliche Verantwortung, sich dafür einzusetzen, dass Rassismus, Rechtsextremismus und Nazismus nie wieder das Leben von Menschen bestimmen. Sie hat es verstanden, mir diese Verantwortung, die sich aus einer gesellschaftlichen Schuld des deutschen Volkes ergibt, mit zu geben. Meine Eltern waren es, die mir schon frühzeitig Bücher wie Íackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz, „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder Jakob der Lügner“ von Jurek Becker empfohlen haben. Diese haben mich mit geprägt. Ich habe auch Menschen meiner Vorgängergenerationen getroffen, die von nichts gewusst haben wollten. In einer von Medien geprägten Gegenwart eine schwer nachzuvollziehende Meinung. Ja, die Informationen damals waren noch so leicht zugänglich wie heute. Sieht man sich jedoch die Chronologie des deutschen Nationalsozialismus an, kann ich das immer noch nicht verstehen.“ ...
„Heute sind wieder Menschen auf der Flucht. Auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung wegen ihrer Religion, Hunger, Elend und Tod. Viele Menschen in unserem Deutschland folgen ihrer humanistischen Haltung ganz unabhängig von Ihrem Glauben und helfen. Helfen mit ihren Taten, ihrer Zeit und ihrem Geld. Davor habe ich sehr große Hochachtung. Heute gibt es wieder Ausgrenzung in Deutschland. Jede Woche gibt es die Demonstrationen der Pegida-Bewegung und anderer besorgter Bürger. Dann denke ich oft an den Roman „Ich trug den gelben Stern“ von Inge Deutschkron, Jahrgang 1922, Holocaustüberlebende, der mich tief beeindruckt hat. Darin schrieb sie: „Die Mehrheit der Deutschen, denen ich in den Straßen Berlins begegnete, guckte weg, wenn sie diesen „Stern“ an mir bemerkte oder guckte durch mich, die Gezeichnete, durch oder drehte sich weg. Ich erinnere mich, wie Unbekannte in der U-Bahn oder auf der Straße, meist im dichten Gewühl der Großstadt, ganz nah an mich herantraten und mir etwas in die Manteltasche steckten, während sie in eine andere Richtung guckten. Mal war es ein Apfel, mal eine Fleischmarke, Dinge, die Juden offiziell nicht erhielten. Doch es gab auch andere, solche, die mich mit Hass ansahen oder hässliche Grimassen vor mir schnitten, um ihrem Abscheu für die Jüdin Ausdruck zu geben.
Heute sind die Menschen, gegen die sich die Pegida-Bewegung richtet, Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten z. B. in Syrien. Nehmen wir Inge Deutschkron ernst, so müssen wir uns fragen, wer wir sein wollen, die die durch die Flüchtlinge hindurchgucken, die die Ihnen mit Hass begegnen oder die, die ihnen, sinnbildlich gesprochen, einen Apfel zustecken.“
Den musikalischen Rahmen gestalten zwei Schüler der Kreismusikschule Müritz. Im Anschluss wurde der Film „Gerdas Geheimnis“ - ein Projekt des Richard-Wossidlo-Gymnasiums und der RAAbatz Medienwerkstatt zur Geschichte der Familie Löwenberg - gezeigt. Die Löwenbergs gehörten zu den bekanntesten jüdischen Mitbürgern Anfang des 20. Jahrhunderts. Der beeindruckende Film bricht die große Tragödie der europäischen Juden auf eine Familie und speziell auf die einzig Überlebende dieser Warener Familie herunter. Dadurch schafft er eine beklemmende Nähe zum Thema. Er ist sowohl mahnend als auch zukunftsweisend mit dem Motto: „Life belongs to the living - das Leben gehört den Lebenden“ ist ein weit über Waren (Müritz) hinaus strahlendes Projekt junger Menschen im Gespräch mit Zeitzeugen und Hinterbliebenen.
Abschließend trafen sich die Teilnehmer der Veranstaltung am Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus am Kietz zur Kranzniederlegung. Stadtpräsident René Drühl sprach Worte des Gedenkens für alle Opfer des Regimes. Dazu zählen neben den unzähligen Juden auch Christen, Zeugen Jehovas, Andersgläubige, politische Gegner, Homosexuelle, Sinti und Roma, behinderte Menschen, Kriegsgefangenen, Deserteure, Widerstandskämpfer und Kriegsgegner. Mit eindringlichen Worten erinnerte dann auch Pastor Ingo Zipkat an die vielen Deutschen, die noch immer behaupten, von nichts gewusst zu haben. Er zeichnet einen Bogen in die heutige Zeit, mahnt vor Gleichgültigkeit und fordert auf, nicht wegzuschauen, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer Ansichten diskriminiert werden.